Die Buchstaben an der Hauswand machen es deutlich: Moritz Viebeg wohnt in einem Bahnhof. Bis zu 18 Menschen sind es insgesamt in den fünf WGs im Bahnhof Ottersberg.  Der Schalterraum im Bahnhof Ottersberg ist heute ein WG-Zimmer. Vor der Glasscheibe mit der Klappe fürs Wechselgeld sitzen Anjuli Theis und André Scholz bei der Haussitzung. Ungewöhnlicher Zugang in die Küche: Über eine Feuerleiter klettert Aline Oßwald aus dem ersten ins zweite Stockwerk im Bahnhof Ottersberg zu Lukas Geschwind und Lisa von Tettenborn. Lukas Geschwind und Neele Ruckdeschel im Einheitslook. Auf dem Weg in den Skiurlaub, sagen sie scherzhaft.  Die Bewohner des Bahnhofs Ottersberg pflegen ein familiäres Miteinander. Im Zimmer von Maren Reinacher spielen sie Scrabble. Nach dem Frühstück tollt das Kind eines der Bewohner mit Hund Primus herum. Beide sind zu Gast im Bahnhof Ottersberg.  Jeder hinterlässt seine Spuren: Auf dem Türrahmen der Küche stehen die Namen der bisherigen Bewohner und deren Körpergröße. Selbstgenähte Stoffwesen ziehen mit ihrem Gewicht über eine Seilwinde die Türen zu. Die Getränkelieferung für ein Konzert unterbricht das Frühstück. Aline Oßwald und weitere Bewohner schleppen Saftkisten ins Gebäude. Im Team klappt das blitzschnell. Ein Intercity Express rauscht am Bahnhof vorbei, während Anjuli Theis einen weiß angemalten Dekobaum aus dem nahegelegenen Wald holt. Abraham Jatho, seine Kinder und Anna Dölle machen während des Aktionstags eine Pause in der Badewanne, die sie aus dem Keller geschleppt haben. Lisa von Tettenborn breitet Herbstlaub in der Güterhalle aus. Es ist für eine Performance gedacht, die dort stattfinden wird. Der Bahnhof e.V. vermietet die Güterhalle unter anderem für Konzerte oder Theater. Die Schauspielschüler der Fachhochschule Ottersberg bereiten sich auf einen Auftritt vor. Vermietbarer Raum und der Wohnbereich liegen im Bahnhof Ottersberg nahe beieinander: Direkt hinter der Bühne befinden sich die Privaträume. Maskentheater in der ehemaligen Güterhalle. Zwischen Abflussrohren und altem Gemäuer findet diese gruselige Performance die passende Kulisse. Liebe zur Dekoration: Maren Reinacher sitzt während einer Veranstaltung an einem Tisch, auf dem ein Telefon mit Wählscheibe neben einer alten Lampe steht. Nicole Tews nimmt an der Kellertür das Eintrittsgeld für ein Konzert entgegen. Die Gruppe Aerodice aus Hamburg trifft auf ein dankbares Publikum: Musik kommt gut an in Ottersberg. Kopf einziehen: Im Kellergewölbe ist der Platz nach oben sehr eingeschränkt. Getanzt wird trotzdem ausgiebig. Im Bahnhof hat der Tag der offenen Tür den Namen „Kunststation“. Lisa von Tettenborn liest den Besuchern in ihrem Zimmer aus einem vietnamesischen Märchenbuch vor. Regelmäßig planen die Bewohner des Bahnhofs einen Aktionstag ein. Zu diesen Anlässen erledigen sie Arbeiten im und am Haus. Anjuli Theis fegt den Keller für ein Konzert. Über die Feuerleiter steigt André Scholz aus dem Turm in die Enterprise hinunter. Die weiteren Namen der fünf WGs: Katabasis, Basis und Urzelle. Moritz Viebeg hat sich im Keller einen Raum für sein Schlagzeug eingerichtet und gibt Unterricht. Indisches Konzert im Salon. Früher war dieser Raum die Bahnhofsgaststätte. Nur eine Rumpelkammer? Im Bahnhof ist selbst dieser unbewohnte Raum oberhalb der Güterhalle mit einem Poster geschmückt. Für einen Tag verwandelt sich das Treppenhaus in eine Galerie. Künstler können sich zum Tag der offenen Tür anmelden und ihre Werke zeigen. Jeden Montag um 19 Uhr reden die Bewohner in der Haussitzung über anstehende Themen. Am Tisch in der ehemaligen Schalterhalle planen sie zum Beispiel das kulturelle Programm. Wir wollen doch nur spielen, steht auf einem Bühnenelement in der Güterhalle. Das passt: Einige Bahnhofsbewohner studieren Theaterpädagogik an der Fachhochschule Ottersberg. Neele Ruckdeschel lässt sich vom Zug vor dem Fenster nicht stören. Sie näht in ihrem Zimmer ein Kostüm. Der Bahnhof Ottersberg liegt an der Bahnstrecke Bremen – Hamburg. Die Deutsche Bahn schloss ihn Mitte der 1980er-Jahre. 1991 zogen Studenten ein. Das Bild zeigt ihn in der blauen Stunde. Lukas Geschwind sieht von seinem Zimmer aus die Gleise. Relikte von früher vermischen sich überall im Gebäude immer wieder mit Anzeichen, dass das Haus nun bewohnt ist.

Bahnhof Ottersberg: Wohnen an den Gleisen

Im Jahr 1991 haben Studenten das leerstehende Bahnhofsgebäude in Ottersberg bei Bremen gekauft und umgebaut. Seitdem wohnen in dem denkmalgeschützten Gemäuer bis zu 18 Menschen. Als Mitglieder des gemeinnützigen Vereins Bahnhof e.V. stellen sie ein vielfältiges kulturelles Angebot auf die Beine. Das Wohnprojekt ist mittlerweile zur Institution geworden. Im Kellergewölbe, der ehemaligen Bahnhofsgaststätte oder der Güterhalle ermöglicht der Verein den Bürgern ein besonderes Kulturerlebnis am Gleis.

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